Betriebsräteberatung in Corona-Zeiten

Meine Erfahrungen als IT-Berater

Komplett auf Home Office verzichten ist nicht mehr drin in der Nach-Corona-Zeit, zu nachhaltig war die Lektion, dass die Arbeit in immer mehr Bereichen immer weniger an die Firma als Ort der Arbeit gebunden ist. Die Suche nach neuen Modellen für die Zukunft der Arbeit ist in vollem Gange.

Betriebsräten stellt sich das Problem folgendermaßen:

Ich erlebe meine Tätigkeit als IT-Berater von Betriebsräten in der Spät-CoronaZeit hauptsächlich bis ausschließlich virtuell. Ich erhalte einen Teams-Link, klicke darauf und befinde mich in einer virtuellen Konferenz. Das Problem liegt schon auf dem Tisch beziehungsweise auf dem Bildschirm, als geteiltes Word-Dokument, meist in Form eines arbeitgeberseitigen Entwurfs für eine Betriebsvereinbarung.

Ich habe hin und wieder Erfolg damit, eine – ebenfalls virtuelle - Konferenz im Vorfeld der Verhandlung zu erreichen, um Fragen zu klären, welche Ziele das Gremium überhaupt verfolgen will. Man setzt sich dann intern kritisch mit dem Regelungsentwurf der Arbeitgeberseite auseinander, nimmt hier und dort Korrekturen vor, streicht ein paar Absätze, fügt vielleicht auch ein paar neue Textzeilen hinzu. Meist allerdings handelt es sich um schiere Schadensbegrenzung.

Manchmal muss ich als hinzugezogener Experte auch nachfragen, wie die Technik überhaupt funktioniert oder ob man das auch anders machen kann. Ich bewege mich dann in einem schmalen Korridor, denn das meiste, was zu Debatte steht, ist Cloud Computing, und man muss nehmen, was einem geboten wird, Software as a Service eben.

In der Verhandlungsrunde – auch wieder virtuell – setzt man sich dann mit den vorliegenden Texten auseinander, die dank Application Sharing für alle Teilnehmer sichtbar sind. Kleine Änderungen werden sofort vorgenommen, ansonsten benutzt man die Kommentierfunktion der Textverarbeitung. Dann geht es irgendwann in die nächste Runde, gleiches Spiel, alles oft erstaunlich langsam fortschreitend.

Was nicht stattfindet: ein Brainstorming für ein eigenes Modell, wie die zukünftige Arbeit als ein Mix von allein zu Hause und gemeinsam zusammen arbeiten aussehen soll, Fragen wie

Man sieht, wenn man anfängt, darüber nachzudenken, entsteht eine sehr lange Liste. Fragen, die, wenn sie nicht ausdrücklich gestellt werden, dem Zufall nach der Methode trial and error überlassen bleiben.

Wenn man sich nicht persönlich erleben kann, ist es sehr schwierig, sich ein Bild zu machen, was den Menschen zumutbar ist, wo ihre jeweiligen roten Linien liegen z.B. wenn es um einen Kompromiss geht, der erarbeitet werden muss. Die vielen kleinen aber wichtigen Informationen über die Körpersprache, über spontane Reaktionen fallen aus. Treffen außerhalb der sinnlich deprivierten Videokonferenzen finden ja nicht mehr statt. Und neue Menschen kennen lernen, auch nicht so richtig. Man lebt sozusagen von den Vorräten.

Ich erlebe den Zwang zum fast ausschließlichen virtuellen Arbeiten als immense Realitätsverknappung, bei der übrig bleibt, an den Symptomen herum zu kurieren. Kein Stern von Bethlehem, dem man folgen könnte, als Highlight einer Idee, eines Konzepts, das man verfolgen kann. Als Chance, die Verhältnisse jetzt grundlegend neu zu gestalten, für eine Work-Life-Balance oder von mir aus auch für eine Work-Life-Integration, die eine solche Bezeichnung auch verdient. Fehlanzeige, fast überall, wo man hinschaut.

Kleiner Trost: Ich habe keine zehn Kilo zugenommen. Meine Arbeit kann ich mir selber einteilen, und um Hamburgs Außenalster laufen ist zwischendurch immer noch drin.

  Karl Schmitz, Februar 2022