Software von Jahr zu Jahr schlechter

Der schleichende Qualitätsverlust von Software

Paradebeispiel SAP, September 2007: Der Vorstand in Indien, muss nach dem Rechten sehen, was die arbeitsteilige Softwareproduktion dort zu Tage fördert (Schließlich entwickeln sie dort die grafische Benutzeroberfläche, die den deutschen Mittelstand beglücken soll) . Typisch für eine global aufgestellte Firma: Entwicklungszentren im heimischen Walldorf, im kalifornischen Palo Alto, im unvermeidlichen Bandalore, neuerdings auch in Shanghai und ein bischen noch in Israel. Gemanagt in virtuellen Teams. Kein Alleinstellungsmerkmal bei der SAP, sondern gängige Praxis großer Firmen.

Seit Jahrzehnten ist es den professionellen Softwareherstellern sowie den - noch verbliebenen - Anwendungsentwicklungs-Chefs in den Unternehmen ein Dorn im Auge, dass Software sich einer industriellen Produktionsweise so hartnäckig widersetzt und sich der Ruch des Individuellen, gar Künstlerischen nur schwer abstreifen lässt. Aber man macht beachtliche Fortschritte, diese Relikte aus vergangenen Tagen los zu werden.

Spezifikationen neuer Programme werden von Designern erstellt, daraus werden dann die Use-Case-Dokumente für die Realisierung gemacht, Vorlagen, in denen die ablauforientierte Psychologie der Computer-Rechenwerke in Flussdiagramme gequetscht wird. Und dann erst schlägt die Stunde der Code-Knechte - das sind die Jungs (selten Mädels), die den eigentlichen Programmcode heruntermetern. Sie bedienen sich ihrer Frameworks, die ihnen ziemlich genau vorschreiben, wie sie zu denken haben.

SAP: behalten wir im Visier

Beschweren sich später die Benutzer über angebliche Fehler, so heißt es lakonisch: works as designed. Die Qualitätssicherung hat dann festgestellt, dass der Programmcode widergibt, was in der Spezifikation festgelegt wurde. Dass das Design falsch war, das ist leider out of scope.

Die meisten Programme sind vollgestopft mit Funktionalität - die schleichende Seuche der Leistungsmerkmale nannte das Design-Guru Don Norman schon vor rund 20 Jahren und meinte damit, dass man es für Fortschritt hält, immer noch mehr Funktionen in einem Programm unterzubringen. Wieder Paradebeispiel SAP: wir behaupten, dass die meisten Kunden keine zehn Prozent des angebotenen Leistungsumfangs nutzen - und noch weniger davon wirklich brauchen. Folge: Alles wird kompliziert.

Die zweite Totsünde heutiger Massensoftware ist die vernachlässigte usability, will sagen ihr Defizit an Benutzerfreundlichkeit. Die Designstrategen, die Softwaresysteme entwerfen, orientieren sich an computerlogischen Abläufen. Aus dem Blick geraten ist die simple Erkenntnis, dass jeder Programmierer heimlich darüber entscheidet, wie Menschen später arbeiten müssen. Gleichrangig neben der Festlegung der Funktionalität müsste also die Modellierung der Arbeitsabläufe stehen. Programmierer sollten wissen, dass sie komplexe Arbeitssysteme gestalten, in denen auch entschieden wird, welcher Teil der Arbeit von Menschen bewegt wird und welcher Teil die Maschine Computer übernimmt. Hier sind Phantasie und Kreativität gefragt. Und die bekommt man nicht aus den Softwarefabriken, in denen man Individualität längst als Störfaktor eliminiert hat. Und damit sind wir beim nächsten Thema: dem Kampf gegen die Individualität (Fortsetzung folgt).

Karl Schmitz

Bisherige Streiflicher...